Montag, August 30, 2004

Gooood Evening Vietnam!

Wieder mal ein seltsames Erlebnis gehabt.
Ich hab am Samstag einen Bekannten besucht und sass mit ihm am fruehen Abend in seinem Garten. Kurz darauf kam sein Nachbar (ca. 55), hat ueber den Zaun geschaut und uns auf ein Glas Wein eingeladen. Ich habe ja noch keinen Wein aus Ontario kennengelernt und demzufolge auch gerne zugesagt. Wir gehen also zu den Nachbarn, unterhalten uns ein wenig und ich probiere etwas Weisswein aus der Niagara-Region. Der wird hier (zumindest bei den besagten Nachbarn) eiskalt getrunken, wobei Nachbars Frau den Wein aus einem Glaskelch trinkt, der extra vorher noch ins Gefrierfach gelegt wird...egal. Er - Jack - , Mittfuenfziger, Baeuchlein, zunehmender Haarverlust am Kopf, dafuer deutlich Brust- und Rueckenbehaart, seine Frau - Nina oder so - (aehnliches Alter, aehnliche Figur), mein Bekannter, ich und Soleil, Nachbars Golden Retriever, der in keiner Weise auch nur annaehernd so gut erzogen ist wie Ingos Mo (was zugegebenermassen auch schwer zu erreichen ist). Soleil versucht also alle 2-3 Minuten meine Arme, Fuesse und trotz deutlichem Abwehren meinerseits auch mein Gesicht abzulecken, springt und bellt mich an, nebenbei fliesst Wein, wir unterhalten uns locker und alles ist gut. Nach ca. 1-2 Stunden, die Themen werden auch mal etwas tiefergehend (Kanadische Politik, Wirtschaft, etc...) werde ich auch gefragt, was ich von Kanada bisher so halte. Ich muss dann ehrlicherweise schon immer wieder sagen, dass die Leute hier seeeehr freundlich und besonders auch seeeehr gastfreundlich sind und (das teilen sie dann mit den Amerikanern) oft eher emotional, bisweilen sogar sentimental. Letzteres sage ich allerdings meistens nicht :-)
Tja, ich kann mich nicht mehr an den genauen Verlauf des Gespraechs erinnern. Jedenfalls sagt Jack irgendwas, was ich nicht ganz verstehe, zu seiner Frau, verschwindet und sie sagt darauf (mit Traenen in den Augen), dass er ihr grade "ein Zeichen" gegeben hat und sie seine Geschichte erzaehlen darf (die laut ihr nicht mal seine Familie kennt... hmm... sollte ich das hier also einfach schreiben?... naja, zumindest hab ich schon mal ganz "journalistisch professionell" die Namen der Beteiligten geaendert :-)
Ploetzlich also voellig andere Stimmung und Nina erzaehlt, dass ihr Jack (Kanadischer Staatsbuerger, in Alberta als "redneck" gross geworden) mit knapp 20 in den Staaten in eine Barpruegelei reingerutscht ist, dafuer verhaftet wurde und dann (1963 etwa) in den Vietnamkrieg eingezogen wurde. (Man hatte damals wohl die Wahl, eine hoehere Gefaengnisstrafe abzusitzen oder eben in den Krieg zu ziehen). Danach (Jack kam dann recht schnell zurueck) haben wir noch ca. 20 Minuten ueber das Ganze geredet und irgendwie kamen dabei verschiedene Informationsbrocken seitens Jack. Jedenfalls hat er wohl "etliche Leute im Krieg getoetet", hat darunter auch gelitten, war mehrfach Kriegsgefangener (POW), ist befreit worden und spaeter wieder gefangen genommen worden, ist gefoltert worden, hat davon koerperliche und psychische Narben davongetragen, hat fuer den CIA gearbeitet (in einer Einheit, die "Black Angels" genannt wurde) und spaeter dann aus Enttaeuschung seine "Medal of Congress", die laut ihm wohl die hoechste amerikanische Auszeichnung ist und die man fuer eine bestimmte Anzahl von "kills" kriegt, fuer einen "pitcher of beer" eingetauscht.
Die Stimmung ist hochernst, ich bin hin- und hergerissen zwischen "wuerde gern mehr erfahren" und "kann ich das jetzt einfach fragen?". Jack sagt immer wieder "Go on, just ask your questions", fixiert mich permanent mit seinen Augen, waehrend seine Frau ihn dabei immer mit einer Mischung aus Bewunderung und Mitleid anschaut.
Ich kam mir bei der ganzen Sache in etwa vor wie der kleine Junge in Pulp Fiction, der die Uhr seines Vaters von dessen Kameraden bekommt ("Diese Uhr hat dein Vater 3 Jahre lang am einzigen Ort getragen, an dem die Reisfresser nicht nachgesehen haben - in seinem Arsch"): Hier erzaehlt mir jemand, den ich nicht kenne, etwas ungeheuer Privates, ist dabei ungeheuer ernst und ich verstehe einfach nicht genau, um was es geht und wie ich reagieren soll.
Nach diesen ca. 20 Minuten Vietnam Trauma dann wieder radikaler Themenwechsel, von Jack eingeleitet mit "Oh no more talking 'bout me... let's talk about something else. Are you gonna be here during Oktoberfest?" oder so... in den folgenden 20 Miuten verabreden wir dann noch, dass wir gemeinsam zum Oktoberfest nach Kitchener/Waterloo gehen werden (was im Uebrigen - nur um mal wieder einen leidigen Superlativ zu bemuehen - das groesste Oktoberfest ausserhalb Muenchens ist). Dann - ebenso ploetzlich und ohne Ankuendigung - schmeisst uns Jack regelrecht raus (zwischen den einleitenden Worten, dass wir jetzt gehen sollten und dem Moment, wo wir dann seinen Garten verlassen, vergehen hoechstens 1 Minute, inklusive hugs and kisses).
Zum "Verarbeiten" gabs danach bei meinem Bekannten noch n Bier und etwas Olympiade, nur um wieder runterzukommen. Der fand die ganze Angelegenheit auch hoechst strange und ist sich auch nicht recht sicher, was daran nun stimmt und was nicht.
Von den Black Angels hab ich jedenfalls im Zusammenhang mit Vietnam oder CIA im Internet auf Anhieb nichts gefunden, was auf eine Sondereinheit hindeutet. Aber warum sollte sich jemand so eine Story ausdenken und dann dazu so eine "Show" abziehen...
anyway... jedenfalls scheint das "Standard Trauma Vietnam" der Amerikaner sich auch bis in den Sueden Kanadas vorgearbeitet zu haben und ich hab das erste Mal jemanden getroffen, der in Vietnam dabei war... und er war kein gluehender Kriegsverehrer!

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